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Demo gegen Sozialabbau: Spendabel bleibt!

Demo gegen Sozialabbau: Spendabel bleibt!

Dienstag, 13 Februar 2024
11:04 Uhr
Autor: Thomas

Am Donnerstag, 18. Januar 2024 hat die Initiative „Wilhelmsburg Solidarisch“ (WiSo) zusammen mit ehemaligen Mitarbeiter*innen und Kund*innen des Sozialkaufhauses „Spendabel“ sowie solidarischen Wilhelmsburger*innen gegen dessen Schließung demonstriert

Rund 40 Menschen, darunter auch viele Kinder, versammelten sich um 16 Uhr bei klirrendem Frost vor dem Jobcenter in der Mengestraße. Ihre Forderung „Spendabel bleibt!“ stand nicht nur auf einem großen Transparent, sondern wurde immer wieder laut skandiert. Denn: Ob Kleinmöbel, Hausrat, Kinderspielzeug oder Kleidung: Viele Menschen mit kleinem Einkommen kauften bisher bei dem Sozialkaufhaus am Veringhof ein. Es wurde, genauso wie die seit Februar 2021 existierende Naturwerkstatt, in der die Mitarbeiter*innen z. B. Möbel aufgearbeitet, Gegenstände wie Pflanzkästen, Vogelhäuser u. ä. neu gebaut und Taschen etc. aus alten Stoffen hergestellt haben, vom Sozialträger „Einfal“ betrieben. Einige Kleidungsstücke haben die Demonstrierenden mitgebracht und an einer Kleiderstange aufgehängt. Andere Demonstrant*innen tragen selbstgebastelte Schilder mit ihren Forderungen. Doch „ihr Laden“ steht erst einmal vor dem Aus: am 27. Januar kommt der Umzugswagen.

Menschen stehen vor einem Backsteinhaus und halten Schilder hoch.

Wollen nicht hinnehmen, dass „Spendabel“ schließen soll: Demontrierende vor dem Jobcenter Mengestraße. Fotos: J. Domnick

Zum Hintergrund: Weil die Bundesregierung sparen muss, hat das Ministerium für Arbeit und Soziales den Jobcentern die Zuschüsse für 2024 um 700 Millionen Euro gekürzt, in Hamburg fehlen dadurch um die 25 Millionen Euro. Die Sozialbehörde wiederum hat entschieden, das Geld vor allem bei Projekten für Langzeitarbeitslose einzusparen, die als Ein-Euro-Kräfte, beispielsweise in Sozialkaufhäusern arbeiten. Die Hälfte der 1.600 Stellen wurde gestrichen. Als Folge stehen die Second-Hand-Läden und weitere Projekte nun vor dem Aus.

 

„Allein beim Träger „Einfal“ fallen sieben Arbeitsgelegenheiten mit 173 Teilnehmenden und 18 Mitarbeiter*innen weg. Die zwei Standorte im Hamburger Süden müssen komplett dichtgemacht werden“, erklärt Francis von WiSo.

Mehr als eine günstige Einkaufsmöglichkeit

Die Beschäftigten sind sauer und traurig. Einer von ihnen möchte am Mikrofon sprechen, aber die Worte bleiben ihm im Hals stecken. Eine ehemalige Kundin bringt es für ihn auf den Punkt: „Hier gab es nicht nur günstige Sachen zu kaufen, sondern auch ganz viel Herzlichkeit, Menschlichkeit, die man so auf der Straße gar nicht mehr findet. Es wird einem auch immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Egal welche Probleme man hat, man ist immer herzlich willkommen und es gibt immer ’ne Lösung, egal für welches Problem. Ich hoffe, die da oben hören uns und finden für dieses Problem auch eine Lösung, dass unser Laden bestehen bleibt!“, ruft sie mit Blick auf die Fassade des Rathauses, in dem das Wilhelmsburger Jobcenter sitzt.

Eine aus Holz gebaute Kleider stange, an der Kleidung und Taschen hängen, wird von einer Frau aus einem Gebäude geschoben.
Eine selbstgebaute Kleiderstange samt selbstgeschneiderter Textilien ist mit von der Partie.

Ronald Wilken (Die Linke) meldet sich ebenfalls am Mikro zu Wort. Seine Fraktion hat schon im September vergangenen Jahres einen Antrag für den Erhalt der „Spendabel Naturwerkstatt“ in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte gestellt. Denn obwohl die Partei als auch WiSo die Praxis der Ein-Euro-Jobs kritisieren (die Bedingungen der dort tätigen Langzeitarbeitslosen müssten durch tarifgebundene Bezahlung, Sozialversicherungspflicht, bessere Arbeitsbedingungen, Sanktionsfreiheit und Freiwilligkeit verbessert werden), hätten die vernichtenden Kürzungen fatale Folgen. Soziale Teilhabe werde dadurch im doppelten Sinne beschnitten. Doch Wilken hat wenig Hoffnung für die Sozialkaufhäuser, denn:

Die Sozialbehörde nahm Anfang Dezember Stellung zum Antrag der Linken. Darin schreibt sie, dass die endgültige Verabschiedung des Bundeshaushaltes weiterhin ausstehe, so dass die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter zur tatsächlichen Mittelausstattung keine Aussagen treffen könnten. Das Jobcenter stehe zu den weiteren Entwicklungen in mit der Sozialbehörde und der Agentur für Arbeit in engem Austausch.

Kürzungen und Repressionen im sozialen Bereich

Wilken sagt: „Wir sind da dran, aber ich befürchte, dass das nicht mehr aufzuhalten ist.“ Genau am Tag der Demonstration wurde der Bundeshaushalt nun beschlossen. Darin enthalten sind auch weitere Verschärfungen für Menschen, die Bürgergeld beziehen. Sollten sie „sich weigern“ einen „zumutbaren“ Job anzunehmen, droht ihnen die Streichung des gesamten Lebensunterhalts für zwei Monate. Doch gerade für Langzeitarbeitslose ist es sehr schwer, an geeignete Arbeitsstellen zu kommen. Projekte wie das „Spendabel“ konnten manchen von ihnen bisher eine Perspektive bieten. Einige der Mitarbeiter*innen der Wilhelmsburger „Filiale“ haben zum Glück eine andere Beschäftigungsmöglichkeit gefunden, sind z. B. beim Kleidermarkt der Kleiderkammer im Veringhof untergekommen, andere wissen noch nicht, wie es weitergeht.

Eine weiblich gelesene Person, winterlich angezogen, steht auf einem verschneiten Gehweg und spricht in ein Mikrofon.
Jannike von WiSo war selbst einmal auf das Sozialkaufhaus angewiesen.

Jannike von WiSo ruft empört: „Fangt bei euch an zu kürzen! Was wollt ihr uns noch nehmen?“ Und Francis, ebenfalls von der Stadtteilinitiative erklärt: „Es wurden sich anscheinend keine Gedanken gemacht, an welcher Stelle die Gelder zusammengestrichen werden, dort, wo es nicht so sehr ins Gewicht gefallen wäre. Die soziale Infrastruktur ist super wichtig für den Stadtteil, weil hier Leute hinkommen können, die wenig Geld haben. Bei Spendabel kann man einfach zusammen kommen, mit netten Leuten Kaffee trinken, Klamotten und Sachen, um die Wohnung auszustatten kaufen, die man sich sonst nicht neu leisten kann. Es kann einfach nicht angehen, dass jetzt die Sozialkaufhäuser schließen müssen. Die Mittel stehen zur Verfügung und müssen jetzt so verteilt werden, dass wir unseres in Wilhelmsburg behalten dürfen!“

Jannike hat selber eine persönliche Beziehung zum Wilhelmsburger Sozialkaufhaus: Sie ist fünf Jahre lang auf Bürgergeld angewiesen gewesen, weil sie aufgrund einer chronischen Erkrankung nur in Teilzeit studieren konnte. In dieser Zeit ist sie immer wieder zu Spendabel gekommen, um sich günstig mit Kleidung oder auch Gerschirr zu versorgen. „Es ist ein Ort, an dem man herzlich empfangen wird, es ist ein Ort, wo man Leute trifft, es ist einfach total wichtig, dieses Sozialkaufhaus zu behalten im Stadtteil. Ich bin einfach total traurig und persönlich berührt, dass das nicht gesehen wird. Deshalb müssen wir dagegen protestieren!“ Diejenigen, die sich nicht ans Mikro trauen, rufen ihr ihre Forderungen zu: „Neue Räume brauchen wir!“ Jannike ergänzt: „Klar, wenn ihr uns unsere Räume wegnehmt, müsst ihr uns neue geben.“ „Geld her!“, ruft jemand anderes. Und eine andere Protestierende ruft: „Ich will meinen Job behalten!“ Wenn man sich überlege, für was alles Geld da sei, sei es doch wirklich beschämend, dass im sozialen Bereich immer mehr gekürzt und gestrichen werde, unterstützt Jannike und ergänzt: „Wir wollen auch nicht vergessen, dass nicht nur die Menschen, die bei Spendabel vorne am Tresen gearbeitet haben, sondern auch die, die im Hintergrund stehen, nämlich die Sozialarbeitenden, ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Ersatzlos gestrichen.“

Ein älterer Herr, rote Jacke, graue Schiefermütze, sitzt im Rollstuhl, der auf einem Bürgersteig stet. Im Hintergrund weitere Demonstrierende.
Weiß nicht, wie er ohne Spendabel zurechtkommen soll. Ein Kunde des Sozialkaufhauses.

Ein älterer Herr, der im Rollstuhl sitzt schlägt vor: „Packt die Sachen zusammen und baut sie drinnen wieder auf!“ Ein super Vorschlag, findet Jannike. Gesagt, getan. Innerhalb weniger Minuten zwängen sich die Demo-Teilnehmer*innen im Empfangsflur des Jobcenters, samt Kleiderstange und selbst gebastelten Demo-Schildern zusammen. Sie fordern ein Gespräch mit der Standortleitung, doch die ist angeblich nicht vor Ort. Security-Mitarbeiter blockieren den Weg, wollen die Menschen rausschmeißen. Die anwesende Polizei droht den WiSo-Aktivist*innen mit Anzeigen wegen Verletzung des Hausrechts. Am Ende gibt es einen Kompromiss: Ein Gesprächstermin mit der Standortleitung soll demnächst stattfinden. „Ich hoffe, das passiert auch, denn wir werden nicht so leicht aufhören mit unserem Protest“, gibt sich Jannike kämpferisch.

Quelle: Inselrundblick